6.1.  Einleitung

Sowohl auf makroskopischer als auch auf mikroskopischer Skala wird bei der Bewegung zweier sich berührender Körper gegeneinander das Phänomen der Reibung wahrgenommen. Zwar können Effekte wie Haft- oder Gleitreibung durch Reibungskoeffizienten sehr leicht quantitativ behandelt werden, doch sind die dabei eine Rolle spielenden physikalischen Prozesse komplex und wenig verstanden. Eine direkte Beobachtung von Reibungsphänomenen auf atomarer Skala wurde erstmals durch die Erfindung des Rasterkraftmikroskops und dessen Weiterentwicklung zum Lateralkraftmikroskop (LFM1) möglich [34].

Das Prinzip dieser Geräte besteht darin, daß eine pyramidenförmige Spitze von wenigen Mikrometern Höhe, angebracht an das Ende einer Blattfeder mit einer typischen Federkonstanten von 0,01 bis 0,5 Newton pro Meter, über die Probenoberfläche gerastert wird, wobei der Abstand so gering gewählt wird, daß zwischen den untersten Atomen der Spitze und den gegenüberliegenden Probenatomen atomare Kräfte wirksam werden. Die dadurch entstehende Auslenkung der Spitze wird dabei z.B. durch die Ablenkung eines an der oberen Seite der Feder gespiegelten Laserstrahls in Abhängigkeit von der Position der Federbefestigung registriert. Höhenänderungen der Spitze bewirken eine Verbiegung der Feder, laterale Auslenkungen eine Torsion.

Wie beim STM gibt es auch den geregelten und den ungeregelten Modus beim AFM, doch ist hier noch eine weitere Unterscheidung wichtig: es kann einerseits im attraktiven, andererseits im repulsiven Kraftbereich gemessen werden.

Im repulsiven Bereich bei Kräften zwischen 10-910-7 N kann im allgemeinen atomare Auflösung erzielt werden. Zudem treten beim Scannen —vor allem bei höheren Kräften— verschiedene reibungsbedingte Abbildungseffekte auf [26]. Da die Auslenkungen der Blattfeder direkt als Kräfte interpretiert werden können, ist es möglich, mittels dieser Mikroskope gezielt die atomare Reibung zu untersuchen.

In diesem Kapitel wird gezeigt, daß ähnliche Abbildungseffekte auch beim STM beobachtet werden können. Bereits in Teil  5.3.2 lag die Vermutung nahe, daß die Elastizität der Tunnelnadel beim Abbildungsprozeß eine entscheidende Rolle spielen kann. Die Auswirkungen können jedoch noch viel gravierender sein. Es wurden bereits einige Untersuchungen zu den vertikalen Wechselwirkungskräften zwischen Spitze und Probe bei der Rastertunnelmikroskopie durchgeführt, siehe z.B. [17], [20], [35] oder [38]. In dem mit dem STM zugänglichen Abstandsbereich werden sowohl attraktive als auch repulsive Kräfte beobachtet und können beide entsprechende Deformationen elastischer Probenmaterialien bewirken. Zum Beispiel führen Soler et al. in [38] aus, wie dadurch die auf Graphit entdeckten Giant Corrugations entstehen. Außerdem haben die bei Messungen an Luft immer vorhandenen Adsorbatfilme wegen der Kapillarkräfte entscheidenden Einfluß auf die Kraft-Abstands-Kurve, wie Messungen von Grigg et al. in [20] zeigen.

Durch die Relativbewegung der Probe gegen die Spitze können jedoch auch erhebliche laterale Kräfte entstehen, die allerdings noch kaum untersucht worden sind. Dies ist auch nicht einfach, da im Gegensatz zum Rasterkraftmikroskop nicht direkt auf die Position der Spitze in Abhängigkeit der Scankoordinate geschlossen werden kann. Zum anderen ist die Federkonstante der Tunnelnadel im allgemeinen nicht definiert, diejenige des Federbalkens beim AFM dagegen bekannt.

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, welche Erscheinungen bei STM-Bildern auftreten können und welche Erklärungsmöglichkeiten es für die einzelnen Phänomene gibt, was durch die Erfahrungen, die bereits mit dem AFM/LFM gemacht worden sind, erleichtert wird.

Es werden wie bisher die drei Materialien HOPG, Wolframdiselenid (WSe2) und Molybdändisulfid (MoS2) untersucht.